Blick ins Holperbachtal

Kulturhaushamm

"Wo vor Jahren ein Haus stand,  da wächst jetzt ein Haus"
(Max Ernst)

Modell

Die synagoge im miniaturformat

Haus der Kultur, Hamm, 1. Stock: Ein Blick nach vorn, ein Blick nach links - Erstaunen. Noch ein Blick nach vorn, noch ein Blick nach links - Unglaube. Als junger Mensch kann man es sich kaum vorstellen, dass das, was man da in einer Glasvitrine sieht, vor 70 Jahren in 30-facher Größe auf dem Platz gestanden hat, den man aus dem Fenster zur linken Seite erspähen kann. Heute erinnert nur der Name des Platzes an die prächtige Synagoge, die hier 44 Jahre lang maßgeblich das Ortsbild der Gemeinde Hamm prägte. Doch das soll sich ändern. Denn mit der Umgestaltung des Synagogenplatzes, in dessen Zuge auch das ehemalige Davids-Haus zum Haus der Kultur erweitert wurde, soll der Grundriss des 1938 zerstörten Gebäudes durch Basaltplatten und ein umlaufendes LED-Lichtband hervorgehoben werden.

Arnold Morkramer mit seinem Modell
Arnold Morkramer im Haus der Kultur mit seinem Modell der 1938 in Hamm zerstörten Synagoge. Es ist bereits die zweite Nachbildung des Bildhauers. Das erste Werk steht in Rosbach.

Zudem steht seit Kurzem ein eindrucksvolles Modell der Synagoge im neuen Haus der Kultur. Angefertigt hat es der Bildhauer Arnold Morkramer. Der Bruchertseifener hat das Gebäude im Maßstab 1:30 rekonstruiert. Ein Problem war dabei allerdings schon allein die richtige Bestimmung der Größenverhältnisse. Denn die Nazis hatten nach der Zerstörung des Bauwerks auch sämtliche Katasterpläne vernichtet. So musste zu einem unkonventionellen Mittel gegriffen werden: Anhand erhaltener Fotos zählten sowohl Arnold Morkramer als auch der Hammer Hobbyhistoriker Horst Moog, der sich seit 1978 akribisch mit dem Thema "Juden in Hamm" beschäftigt und als unbestrittener Experte auf diesem Gebiet gelten muss, die Ziegelsteine der Synagoge sowohl in der Waagerechten als auch in der Senkrechten. Danach kamen sie zum nahezu identischen Ergebnis einer Länge von 17 bis 18 Metern. Mit dieser Information stellte Arnold Morkramer dann das Modell aus verschiedenen Sperrhölzern, gedrechselten Elementen, mehreren Leimsorten sowie Farben und Lacken her.

Die Miniatur, die jetzt im Haus der Kultur steht, ist allerdings schon die zweite Version. Das erste Werk fertigte Morkramer bereits 1991 an. Nach einer Bandscheibenoperation konnte er sich damals vorübergehend nur leichten körperlichen Arbeiten widmen. Da kam ihm in Verbindung mit Horst Moog die Idee. Vier bis fünf Wochen Arbeit sind es schon gewesen, gibt er im Gespräch mit der RZ an. Schließlich hat er auch einige Techniken erst einmal wieder neu lernen müssen. "Für die runde Kuppel beispielsweise musste das Sperrholz in kochendem Wasser über einer Schablone gebogen werden." Nach Vollendung der Nachbildung stellte er diese in der Hammer Kreissparkasse aus. Doch damals war die Zeit in der Sieggemeinde dafür scheinbar noch nicht reif. Von offizieller Seite kam jedenfalls keine Reaktion, erklärt Morkramer. So wanderte das Modell wenige Jahre später als Dauerleihgabe nach Rosbach. Hier war ein ehemaliges jüdisches Haus zur Gedenkstätte umfunktioniert worden. Als dann jedoch vor einigen Monaten in Hamm beschlossen wurde, das Davids-Haus zu renovieren, traten Gemeindevertreter an den Bildhauer heran. Wegnehmen wollte er den Rosbachern seine erste Version allerdings nicht. Und so setzte sich Morkramer im vergangenen Jahr erneut an die Arbeit und fertigte ein weiteres Modell der Synagoge.

Schließlich ist die Erinnerung an das Schicksal der Juden für ihn eine wichtige Angelegenheit. Mehr noch, wie der 77-Jährige betont: "Als Zeitzeuge sah ich mich verpflichtet, ein ehemaliges architektonisches Kleinod Hamms wieder beschaubar zu machen, damit eine ganz böse Zeit nicht in Vergessenheit gerät." Zudem sei vielen Menschen überhaupt nicht bewusst, was die Synagogen für die Juden bedeuten. Denn nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem (unter dem römischen Kaiser Titus in den Jahren 69/70) galten diese als kultisch-religiöser Ersatz. Somit sei die Zerstörung der Synagogen auch die Vernichtung der Identität der jüdischen Glaubensgemeinschaft gewesen. Übertroffen wurde dies schließlich noch von der Vertreibung und der Ermordung der rund sechs Millionen Juden während der nationalsozialistischen Herrschaft. Vorgänge, die auch Morkramer während seiner Kindheit in Düsseldorf fast hautnah miterlebt hat - bei jüdischen Schulkameraden und auf den Straßen. "Ich erinnere mich noch sehr gut daran, auch an die Hetzkarikaturen im ,Stürmer' und im ,Völkischen Beobachter' (NS-Zeitungen, d.R.), in denen Juden und Pfaffen diffamiert wurden und die in Schaukästen auf meinem Schulweg aushingen", sagt Morkramer und unterstreicht: "Dass keiner etwas gewusst hat, stimmt nicht."

Dass zumindest die jetzigen und kommenden Generationen daran erinnert werden, dazu trägt sein Modell bei. Ein Mahnmal, das sicherlich nicht zu früh kommt. Denn junge Menschen können sich heute eben kaum noch vorstellen, dass ein solches Gebäude einmal Mitten in Hamm gestanden hat.

Quelle: Rhein-Zeitung
05.01.2007 © RZ-Online GmbH (www)